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Buchtipp: Nils. Vom Tod und Wut.

Immer wieder bekommen wir Bücher in die Redaktion geschickt, die wir vorstellen sollen. Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut. habe ich noch schnell geordert, weil der Grafiker die Bilder so toll fand. Es ist eine Graphic Novel, eine Bildergeschichte über Nils, gezeichnet und geschrieben von seiner Mutter Melanie Garanin, die sein ganzes Leben illustriert hat und nun auch sein Sterben, sein Totsein.

Ich zeige das Buch meiner sechsjährigen Tochter, wie lesen die ersten Seiten, auf denen alles noch in Ordnung ist. Der Grafiker drängelt: „Nimm doch den Promotext vom Verlag! Wir müssen fertig werden.“ Doch ich kann nicht, ich muss selbst lesen, denn von der ersten Seite an, weiß ich: Dieses Buch ist gut. Das wird unter die Haut gehen.

Seite 29. Nils ist jetzt im Krankenhaus, man sieht nur die Blutransfusion und eine dunkelblaue Wand, verwaschener Bildrand, als flösse alles davon. Ich muss schon jetzt schlucken, so als Redakteurin, so als Mutter. Was, wenn mein Kind krank wäre? Man kann ein solches Buch nicht distanziert lesen und einen professionellen Text darüber schreiben. Das würde einfach nicht ausreichen.

Melanie Garanin ist eine deutsche Illustratorin und Kinderbuchautorin. Seit 2009 zeichnet sie täglich in ihrem Blog. Zeigt ihr Leben und ihre Gedanken. 2015 stirbt ihr jüngster Sohn Nils. Sie zeichnet auf, was in ihr ist, bringt hervor, was sie zum Ersticken bringen könnte.

Nils war immer der kleine Stern, schon im Bauch. Merkwürdig, wo man doch Kinder, die früh sterben, Sternenkinder nennt. Als wäre er nur zu Besuch auf der Erde gewesen, weil er doch in den Himmel gehört. Als wäre da eine Ahnung gewesen. Aber vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein, weil es so emotional ist.

Der Weg durch die Krankenhaustage, die Ärzte, die immer nur einen Aspekt, aber nie das Ganze sehen, die Routine verlangen, in einer chaotischen Muttersituation. Nils hat Schmerzen, niemand hilft. Seiner Mutter leidet, Nils hilft: „Schon besser, Mama, besser.“ Am nächsten Tag ist er tot. Weiße Doppelseite mit der Nachricht seines Todes. Sonst nichts, nur blendende Leere. Lesepause.

Diese tiefe Trauer, dieses Vakuum, in dem man als Leser versinkt, ist schmerzhaft. Ich kann nicht überfliegen, wie ich es sonst bei Büchern tue, die ich rezensieren muss. Ich falle hinein und sitze heulend am Schreibtisch. Und dann: Eine Anklage auf Seite 87. Warum wurde das Kind obduziert, gegen den Willen der Eltern? Für die Wissenschaft, sagt der Onkologe, für zukünftige Fälle. „Wessen Interessen sind wichtiger?“ fragt die Mutter. Und weiter hinten, eine Seite vor der hundert, der Vorwurf an die Ärzte, die nicht zu den Beerdigungen kommen. In den Seiten steckt Wut und Klage, Unverständnis und wenig von dem Verständigkeitsgetue, das man sonst so liest. Dazwischen der Verdacht, dass Nils nicht hätte sterben müssen. Erstmal Urlaub mit den anderen drei Kindern. Und dann: „Wieder zu Hause, ist Nils immer noch gestorben.“ Solche Sätze, die manchmal viel stärker als die starken Bilder sind. Und zwischen Worten und Bildern das ganze Mutterherz mit tiefem Riss.

Ein wunderbares, schmerzvolles Buch, voller Liebe, Trauer und Echtheit.

Nils. Vom Tod und Wut. Und von Mut. Carlsen Verlag 2020. 22,00 Euro